Dr. Jan Rauch: Von wegen elf Freunde?

„Elf Freunde müsst ihr sein“. Dieses oft zitierte Bonmot schmückte einst die Viktoria – den Vorgänger der deutschen Fussball-Meisterschale (und: nein, es stammt nicht von Sepp Herberger). In krassem Gegensatz zu obigem Zitat steht Cristiano Ronaldos Aussage in einem Interview mit dem deutschen Fachmagazin Kicker: “Mit Manchester United habe ich die Champions League gewonnen, ohne mit Ferdinand, Giggs oder Scholes zu sprechen. Wir haben uns ‘Guten Tag’ gesagt, mehr nicht”. Entscheidend sei, was auf dem Platz passiere, wichtiger jedenfalls, “als Bale zu mir zum Abendessen einzuladen”. Ja was denn nun! Soll man elf Freunde sein, oder reicht auch ein distanziert-kühles Verhältnis zu den anderen Teammitgliedern, um Erfolg zu haben?

Zum Thema: Kohäsion und Erfolg in Teams

Von Jan Rauch und Aline Werren

Viele erfolgreiche Sportteams, wie z.B. die deutschen Nationalmannschaften im Hockey, Fussball und Handball geben den Teamgeist bzw. die Kohäsion als eine ihrer Stärken an. Kohäsion kann verstanden werden als die Kraft, welche die einzelnen Spieler im positiven Sinne an ein Team bindet. Im Folgenden sollen einfachheitshalber Ausdrücke wie Teamgeist, Teamzusammenhalt und Kohäsion synonym verwendet werden.

Ein „guter Teamgeist“ wird denn allgemein auch als charakteristisch für funktionierende Gruppen angesehen. Die Frage ist nun, ob sich tatsächlich eine Kohäsions-Leistungsbeziehung nachweisen lässt. Ist der Teamzusammenhalt wirklich ein leistungsbestimmender Faktor? Diese Frage ist in der Arbeit mit Teams keineswegs trivial, denn egal ob Gruppenausflug, Teambildungsmassnahme oder gemeinsames Feierabendbier: Am Schluss liegt solchen – auf den ersten Blick – kohäsiven Massnahmen fast immer die Hoffnung zugrunde, langfristig die Teamleistung zu steigern.

Wissenschaftliche Forschung im Überblick

Wissenschaftliche Befunde dazu sind nicht eindeutig, insbesondere im Sport, was teilweise wohl auf unterschiedliche Ansätze der Datenerhebung zurückzuführen ist. Die Autoren Lau und Stoll haben in einer Übersicht von disziplinübergreifenden Meta-Analysen den Stand der Forschung zum Zusammenhang von Erfolg und Kohäsion zusammengestellt [1]. Eine grosse Analyse aus dem Jahr 1991, welche 16 Studien mit Sportmannschaften, Experimentalgruppen und Militäreinheiten in die Analyse einschloss, stellte eine positive Korrelation zwischen Kohäsion und Leistung fest [2].  Das bedeutet vorerst mal nur, dass ein Zusammenhang zwischen „Teamgeist“ und Teamleistung festgestellt wurde. Ob das eine als zwingende Voraussetzung für das andere gilt, kann damit nicht gesagt werden.

Eine weitere Analyse mit 49 Studien (8 davon im Sport) zeigte ebenfalls einen schwachen Zusammenhang zwischen Erfolg und Kohäsion auf, jedoch mit einem spannenden Nebenbefund: Bei realen Gruppen hängen Erfolg und Kohäsion stärker zusammen als in sogenannten „Laborgruppen“. Und, man höre und staune, die mit Abstand höchsten Korrelationen weisen dabei die Sportgruppen auf [3]. Eine umfassende Meta-Analyse, welche 46 Studien ausschliesslich aus dem Sportbereich unter die Lupe nahm, fand ebenfalls Zusammenhänge zwischen Kohäsion und Teamerfolg, wobei diese bei weiblichen Teams höher zu sein scheinen als bei männlichen [4]. Die Wahrnehmung der Teamkohäsion ist dabei relativ stabil: Erfolgreiche Leistungen oder Misserfolge im Saisonverlauf führen nicht zwingend zu Veränderungen in dieser Wahrnehmung [5]. Wenn ich mich also einem Team verbunden fühle, können auch ein paar Niederlagen diese Verbundenheit nicht gleich auflösen. Eine weitere Metaanalyse mit Sportteams kam zum Schluss, dass sich Gruppenkohäsion positiver auf die Effizienz (übersetzt: aus wenigen Torchancen ein Tor erzielen) als auf die Effektivität (überhaupt ein Tor erzielen) auswirkt. Kohäsive Teams haben also vor allem dort Vorteile, wo Effizienz sehr wichtig ist [6]. Das könnte bedeuten, dass tendenziell schwächere Teams von einem guten Teamzusammenhalt verhältnismässig mehr profitieren können, da sie im Vergleich mit stärkeren Mannschaften weniger Torchancen erspielen und deshalb effizienter sein müssen.

Faktor Konfliktmanagement

Ein Faktor, der die Teamkohäsion und somit die Leistung stark beeinflussen kann, ist die Fähigkeit des Teams, mit Konflikten umzugehen [7]. Wenn es einem Team also gelingt, Konflikte anzugehen und zu lösen, müsste über den gestärkten Zusammenhalt erhöhte Effektivität resultieren. Eine zentrale Rolle bei der Arbeit mit Teams sollte also die Kultur des Umgangs mit Konflikten einnehmen. Zudem hängt die Teamkohäsion positiv mit der individuellen Zufriedenheit der Teammitglieder sowie der wahrgenommenen Leistung zusammen. Wer sich also dem Team sehr verbunden fühlt, ist zufriedener und mehr daran interessiert, weiterhin im Team zu arbeiten als jemand mit tiefem Kohäsionslevel. Und geht man davon aus, dass in erfolgreichen Teams die wahrgenommene Leistung höher eingeschätzt wird, kann geschlossen werden, dass vor allem in schwächeren Teams der Zusammenhalt eine wichtigere Rolle spielen dürfte.

Als Fazit formulieren Lau und Stoll in ihrer Übersicht, dass es offenbar eher gelingt, einen positiven Einfluss von vorherigem sportlichen Erfolg auf die Kohäsion nachzuweisen als umgekehrt. Erfolg führt also zu mehr Zusammenhalt, und mehr Zusammenhalt müsste, zumindest in weniger erfolgreichen Teams, zu mehr Effizienz führen (was sich wiederum in sportlichen Erfolg niederschlagen müsste). Der Zusammenhang zwischen Teamerfolg und -kohäsion scheint also erwiesen, weniger klar ist jedoch die Kausalrichtung. Wenn Cristiano Ronaldo also dem Teamzusammenhalt keinen hohen Stellenwert beimisst, mag das auch damit zusammenhängen, dass diese in seinen höchst erfolgreichen Teams bisher eine eher untergeordnete Rolle spielten.

Herausforderung für die Sportpsychologen

Die Kunst langfristig erfolgreicher Teamarbeit besteht darin, Erfolg und Kohäsion in einem Prozess des gegenseitigen Aufschaukelns zu steigern und aufrechtzuerhalten. Bei erfolgreichen Teams sollte die positive Wirkung auf Zusammenhalt als Basis für weiteren Erfolg genutzt werden. Wer schon einmal mit Teams gearbeitet hat weiss, dass dies leider kein Selbstläufer ist. Bei weniger erfolgreichen Teams muss ein kohäsives Klima, welches als Basis für Erfolg dienen könnte, erst geschaffen werden. Was sind Voraussetzungen, unter denen Teams tendenziell erfolgreich arbeiten? Wo lauern Gefahren? Sozialpsychologische Phänomene wie soziales Faulenzen oder Trittbrettfahren treten auch in erfolgreichen Teams schneller auf als einem lieb ist. Die Fähigkeit zur Teamanalyse, Grundlagenkenntnisse teampsychologischer Phänomene und gruppendynamischer Prozesse und sind deshalb Voraussetzung für die erfolgreiche Teamarbeit jedes Sportpsychologen.

Und es gilt: Wer in einem guten Gruppenklima arbeiten möchte, sollte sich ein erfolgreiches Team suchen! Der umgekehrte Weg, nämlich durch Verbesserung der Kohäsion ein erfolgreiches Team zu formen, scheint ein ungleich schwierigeres Unterfangen zu sein.

Hinweis: Weitere interessant Beiträge finden sich im Blog des IAP Instituts für Angewandte Psychologie, einem Angebot der ZAHW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Quellen:

[1] Lau, A., & Stoll, O. (2007). Gruppenkohäsion im Sport. Psychologie in Österreich, 27(2), 155-163.

[2] Evans, C. R., & Dion, K. L. (1991). Group cohesion and performance a meta-analysis. Small group research, 22(2), 175-186.

[3] Mullen, B., & Copper, C. (1994). The relation between group cohesiveness and performance: An integration. Psychological bulletin, 115(2), 210.

[4] Carron, A.V., Colman, M.M., Wheeler, J., & Stevens, D. (2002). Cohesion and performance in sport: A meta-analysis. Journal of Sport & Exercise Psychology, 24, 168–188.

[5]Wilhelm, A. (2001). Im Team zum Erfolg. Ein sozial-motivationales Verhaltens modell zur Mannschaftsleistung. Lengerich: Pabst Science Publishers.

[6] Beal, D. J., Cohen, R. R., Burke, M. J., & McLendon, C. L. (2003). Cohesion and performance in groups: a meta-analytic clarification of construct relations. Journal of applied psychology, 88(6), 989.

[7] Tekleab, A. G., Quigley, N. R., & Tesluk, P. E. (2009). A longitudinal study of team conflict, conflict management, cohesion, and team effectiveness. Group & Organization Management, 34(2), 170-205.

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Jan Rauch
Jan Rauchhttp://www.die-sportpsychologen.de/jan-rauch/

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2 Kommentare

  1. […] Heterogenität führt in Teams aber auch häufiger zu Missverständnissen, was die Wahrscheinlichkeit von Teamkonflikten erhöht. Im schlimmsten Fall wird der Erfolg des Teams sogar geschmälert, weil die vorhandenen Ressourcen nicht für die erforderte Leistung, sondern zum Lösen von Konflikten eingesetzt werden müssen [3] (Zur Bedeutung der Fähigkeit zu Konfliktmanagement siehe Blogbeitrag Von wegen elf Freunde?). […]

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